Hebammen stärken Frauen während der Schwangerschaft und darüber hinaus
Jedes Jahr sterben weltweit schätzungsweise 5,9 Millionen Kinder unter fünf Jahren an den Folgen von Unterernährung, unzureichender medizinischer Versorgung und mangelhaften sanitären Einrichtungen - doch all das kann verhindert werden. Rotary bietet Aufklärung, Impfungen, Geburts-Kits und mobile Gesundheitskliniken, um Frauen zu unterstützen. Eine weitere Ressource für Frauen sind Hebammen. Rotarierin Andrea Cassidy berichtet von ihren Erfahrungen bei der Arbeit in Kanada.
Hebammen lieben Geburtsgeschichten. Die allererste Geburt, die ich begleitete, war die einer mennonitischen Frau, die sich illegal in Kanada aufhielt, keine Krankenversicherung hatte und die Sprache nicht beherrschte. Ich machte einen pränatalen Besuch, und sie brachte dann in der Nacht ihr Kind zur Welt. Es gehört zu unserer Betreuungsarbeit, dass wir in den ersten Wochen nach der Entbindung Hausbesuche machen. Ihr und ihrer Familie war nicht klar, dass sie nichts bezahlen mussten, denn die Finanzierung meiner Dienstleistungen erfolgt durch das Gesundheitsministerium von Ontario. So gaben sie mir immer wieder Gurken als Bezahlung.
Hebammen in Kanada können Frauen betreuen, die nicht krankenversichert sind, und tun dies oft für die am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Unsere Termine dauern zwischen 30 und 45 Minuten, also länger als ein Arzttermin. Wir haben mit Menschen zu tun, die Sprachbarrieren oder psychische Probleme haben, mit Müttern im Teenageralter, mit Menschen, die ihr Baby nach der Geburt zur Adoption freigeben. Sie alle verdienen eine respektvolle und freundliche Betreuung und haben das Recht auf Selbstbestimmung.
Frauen zu stärken ist meine Aufgabe. Es geht um ihren Körper und ihr Baby. Wir fragen sie, was sie möchten, und versuchen, es umzusetzen. Vielleicht möchten sie ihr Baby im Wasser zur Welt bringen. Oder doch lieber in einem Krankenhaus oder zu Hause. Manche möchten ihr Baby selbst auffangen, wenn es aus dem Geburtskanal kommt. Wieder andere hätten gerne ihre anderen Kinder im Zimmer mit dabei. Die Frauen können auch selbst entscheiden, welche Untersuchungen sie während ihrer Schwangerschaft durchführen lassen möchten statt dies von außen rigide vorzuschreiben.
Als Hebammen hier in Kanada können wir Rezepte ausstellen, Diagnosen stellen, Laboruntersuchungen anordnen und alle Notwendige für Schwangerschaft, Geburt und die ersten sechs Wochen danach durchführen. Wir haben enge Arbeitsbeziehungen zu unseren Ärzte/Ärztinnen und können uns bei Problemen mit ihnen abstimmen. Manchmal werden die Dinge komplizierter und wir übergeben die Betreuung an Fachärzte/Fachärztinnen, z. B. bei einem Kaiserschnitt. Doch wir bleiben stets zur Betreuung an der Seite der Patientinnen und werden zu Vertrauenspersonen.
Wir führen viele Schulungen zum Stillen durch. In der Klinik zeige ich den Frauen zum Beispiel, wie Sie auf einem Stuhl sitzend stillen können. Wenn ich dann bei meinem Hausbesuch feststelle, dass sie keinen Stuhl haben sondern nur eine Matratze auf dem Boden, bringe ich ihnen bei, wie das Ganze auf einer Matratze auf dem Boden funktioniert.
Das Beste an meiner Arbeit ist, dass ich Frauen darin bestärken kann, auch an sich zu denken und für gut sich selbst zu sorgen. Wenn ich die Mütter nach der Geburt besuche, sage ich ihnen: „Ihrem Baby geht es gut. Jetzt lassen Sie uns mal über Sie selbst reden. Essen, trinken und schlafen Sie gut? Haben Sie Schmerzen?“ Das Baby ist selten das Problem, aber die Mutter ist völlig erschöpft. Ich verbringe viel Zeit damit, Frauen zu sagen, dass es in Ordnung ist, sich Raum für sich selbst zu nehmen. — Aufgeschrieben von Anne Stein
Originalbeitrag aus der November-Ausgabe 2021, Magazin Rotary