Rotary-Stipendiat wird in Migrantenheimen Mexikos aktiv
Es gibt zwei Dinge, denen man im Süden Mexikos nicht entkommen kann. Da ist zuerst der Staub, zu einem feinen Pulver zerriebenes Wüstengestein, das in alles eindringt, ob in Augenlider oder Kniekehlen. Man hustet den Staub beim Einschlafen aus und findet ihn beim Aufwachen auf der Bettdecke. Das zweite Element ist die Gewalt. Auf der Reise mit und entlang der Eisenbahn, die den Spitznamen La Bestia, die „Bestie“, trägt, fand ich beides.
Über das letzte halbe Jahrhundert hinweg haben Millionen von Menschen aus Mittelamerika auf der Flucht vor Armut, Bürgerkriegen und Gangsterbanden Mexiko von Süden nach Norden durchquert – viele von ihnen auf den Waggondächern der Zugverbindung, die den bezeichnenden Namen „Bestie“ erhielt.
Im Juli 2014 gab die mexikanische Regierung ihr „Südgrenzenprogramm” bekannt. Präsident Enrique Peña Nieto betonte, dass es sich dabei um ein Förderprogramm zur Schaffung neuer Wirtschaftszonen und zum Schutz von Menschenrechten für die in der Vergangenheit stets instabile Grenzregion im Süden des Landes handelte. Auch die Schließung der „Bestie“ für Migranten gehörte zu dem Programm. Doch statt der erhofften Verbesserungen explodierte in den Folgejahren die Zahl misshandelter, entführter und ermordeter Flüchtlinge. Sogar ein Schwarzmarkt für den Organhandel floriert seitdem.
Im Frühjahr 2015 beendete ich meine Studien als Global-Grant-Stipendiat von Rotary mit einem Masters-Abschluss. Ich hatte die Auswirkungen von Handels- und Entwicklungsprogrammen in Mexiko untersucht und dabei herausgefunden, dass sie die Lebensbedingungen vieler Menschen nur verschärften und noch gefährlicher machten.
Um meine Studien vor Ort zu überprüfen, reiste ich in den Süden Mexikos. Diese ländliche Region ist sehr arm. Nur ein paar Pueblos gibt es hier, Landwirtschaft wird nur zur Eigenernährung betrieben. Ich fühlte mich sonderbar zuhause hier, denn ich war im ländlichen Georgia aufgewachsen, und ich entwickelte ein Interesse an Immigrationsfragen, nachdem ich in North Carolina Farmarbeitern Englischunterricht erteilt hatte. Diese Hilfskräfte halfen dort bei der Ernte von Kohl, Beerenfrüchten und Weihnachtstannen. Viele von ihnen kamen aus dem Süden Mexikos, und ich erfuhr von ihren Erfahrungen mit Drogen- und Menschenhandel in ihrer Heimat.
Um zu verstehen, wie das Südgrenzenprogramm die Lebensbedingungen der Menschen dort veränderte, übernachtete ich in Notunterkünften, die sich nicht groß von Obdachlosen- oder Flüchtlingsheimen unterscheiden. Das heißt, oft kein fließendes Wasser, geschweige denn Strom, doch mit Glück eine warme Mahlzeit und ein Platz zum Ausruhen, bevor die Reise nach Norden weitergeht.
Bei meiner Ankunft war ich zuerst tief schockiert. Kranke und verletzte Menschen kamen jeden Tag an. Dehydrierung war ein großes Problem. Viele Menschen hatten sich buchstäblich die Haut von den Füßen abgelaufen. Ich erlebte auch, wie ein Bandenmitglied versuchte, jemanden aus dem Heim zu entführen und nur in letzter Minute von den Heimleitern gestoppt werden konnte. Als ich ankam, war die Zahl von Migranten, die Heime entlang der Bestien-Bahnstrecke aufsuchten, von 400 auf 100 gefallen. Die Heimleiter erklärten mir, dass dies jedoch mitnichten ein Sinken der Flüchtlingszahlen bedeutete.
Jedes Jahr kommen über 400.000 mittelamerikanische Flüchtlinge nach Mexiko. Die sinkende Zahl ergab sich einfach daraus, dass Einwanderungspolizisten jeden verhafteten, der sich in der Nähe der Bahnlinie befand. Die Menschen trauten sich daher nicht in die Heime. Aus den Zufluchtsorten waren No-go-Zonen geworden. „Das ist eine humanitäre Krise von der Dimension, wie wir sie in Syrien finden”, meinte einer der Heimleiter. „Aber keiner redet davon.”
In den Heimen hackte ich Holz, kochte Essen und schrubbte den Küchenfußboden. Ich wechselte Verbände und half bei Asylanträgen. Ich lebte und reiste mit Flüchtlingen nach Norden. Und ich zeichnete ihre Geschichten auf – warum sie flohen, auf was sie hofften, was sie erlebt hatten.
Mildred war eine Mutter von drei Kindern. Sie war auf der Flucht vor einer Gangsterbande, die ihr mit der Ermordung ihrer Familie gedroht hatte, falls sie keine Schutzgebühr zahlte. Ivan war der älteste von sechs Brüdern, der seine gesamte Familie – einschließlich seiner alten Mutter und seiner zwei Neffen im Kleinkindalter – nach Mexiko brachte, nachdem Killer in ihrer Heimat Honduras versucht hatten, sie zu ermorden. Milton hatte bereits seit Jahren in New York City gelebt – und dort bei der Terrorattacke im September 2011 Passanten in seinem Apartment versorgt – bevor er deportiert wurde.
Die Fakten, die ich erfuhr, waren schlimm. Anstatt die Grenzen Mexikos sicherer zu machen, machte der Plan lediglich die traditionellen Einwandererwege unpassierbar. Diese waren immer schon gefährlich, aber zumindest hatten sie eine gewisse Ordnung und Sichtbarkeit. Die Menschen wussten ungefähr, welche Bahnabschnitte durch Gangs gefährdet waren. Sie waren darauf vorbereitet, Schutzgelder zu zahlen, in der Regel zwischen 5 und 20 Dollars. Zu ihrer Sicherheit reisten sie in Gruppen. Und Hilfe war immer irgendwo in der Nähe, ob das nun eine Notunterkunft, eine Rotkreuzklinik oder eine Polizeistation war.
Das neue Progamm änderte all das. Gejagt von Sonderbeamten wichen die Migranten tief in den Dschungel aus, liefen tagelang ohne Pause. Die Banditen, die vormals nur Schutzgelder erpresst hatten, folgten ihnen in abgelegene Gebiete, wo sie sie ausraubten, kidnappten oder einfach umbrachten. Als Entwicklungsinitiative hat das Südgrenzenprogramm komplett versagt. Der vermehrte Druck auf die Flüchtlinge macht die Region nicht nur unsicherer, die vermehrte Gewalt und Brutalität verhindert auch jegliche Wirtschaftsentwicklung, die das Land so dringend braucht.
Während meines Stipendiums lernte ich, Entwicklungspolitik mit anderen Augen zu sehen. Wir sehen internationale Entwicklungshilfe oft in Größen wie der Reduzierung der Armut, wobei diese in Geldausgaben und monetär erfassbaren „Renditen“ gemessen wird. Der anthropologische Ansatz analysiert globale Hilfe anders. Wir untersuchen besonders, wie sich Initiativen vor Ort auswirken, um zu sehen, was die Menschen dort wirklich brauchen, wie diese Bedarfe nachhaltig erfüllt werden können – und wie dies letztlich zu autonomer Bedarfserfüllung führt.
In den Notunterkünften erlebte ich auch oft, wie ungefragt Riesenlieferungen von gebrauchter Kleidung von wohlmeinenden Organisationen eintrafen. Hätten diese nach den wirklichen Bedürfnissen gefragt, so hätten sie erfahren, dass ihre Anstengungen und ihre Investitionen nutzlos waren. Die Heimleiter mussten teilweise sogar den Abtransport von Hunderten von Kilo alter Kleidung bezahlen, weil in den Heimen einfach kein Platz mehr war.
Was indes dringend gebraucht wurde, waren sauberes Trinkwasser, sanitäre Anlagen und medizinische Versorgung. Doch auch in diesen Bereichen wollten die Verantwortlichen vor Ort nicht einfach Massensendungen. Vielmehr brauchten sie die Infrastruktur: Wasseraufbereitungsanlagen, funktionierende Toiletten, ein Krankenhaus in der Nähe, das seine eigenen Systeme unterhalten und so die notwendige Versorgung bereitstellen könnte.
Und natürlich ist das Endziel, dass alle Hilfe einmal nicht mehr erforderlich ist. Wie ein Heimleiter sagte: „Unser letztliches Ziel ist, einmal überhaupt nicht mehr gebraucht zu werden – dass wir diese Flüchtlingskrise und das Gewaltproblem lösen und nach Hause gehen können.”
Die sechs Schwerpunktbereiche von Rotary passen sehr gut zu solchen Zielsetzungen. Maßnahmen erfordern Geld, aber mehr noch eine intensive kulturelle Zusammenarbeit, damit sie nachhaltig greifen können. Wer könnte das besser erfüllen als Rotary mit seinem weltweiten Netz von Menschen, die die Herausforderungen verstehen und effektiv bewältigen können?
Eine weitere effektive Antwort Rotarys ist die Finanzierung von Graduate-Studien in den sechs Bereichen. Nach seinem Studium an der University of Sussex in demselben Studienbereich wie meinem verbrachte mein Freund Justin Hendrix mehrere Jahre in einem rumänischen Waisenhaus, um den Kindern dort eine gute Schulausbildung zu ermöglichen. Eine andere Freundin, Emily Williams, erhielt mit einem Global Grant ihren Masters-Abschluss vom Institut für Menschenrechte Bartolome de las Casas an Madrids Universidad Carlos III. Sie betreut heute minderjährige alleinreisende Flüchtlinge und Opfer des Menschenhandels aus Mittelamerika. Und meine Partnerin Atlee Webber studierte mit einem Stipendium Migrations- und Entwicklungsfragen an der SOAS University (School of Oriental and African Studies) in London. Sie arbeitet heute als Program Officer für das amerikanische Committee for Refugees and Immigrants.
Rotarier verstehen, dass wir von anderen Kulturen lernen müssen, um eine optimale Wirkung zu erzeugen. Als Stipendiaten wollen wir genau das erreichen – während unserer Studien und danach.
Aus The Rotarian
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Rotary Clubs können Global Grants zur Unterstützung von Stipendien in den sechs Schwerpunktbereichen bei der The Rotary Foundation beantragen. Es gibt 520 Alumni und über 200 derzeit studierende Stipendiaten.
Andere Stipendien
District Grants können für die Unterstützung von lokalen oder internationalen Studien an Oberschulen, für Grund- oder Aufbaustudien in beliebigen Studienbereichen genutzt werden. Rotarier können auch Rotary Peace Fellowships unterstützen oder Stipendienkandidaten für das IHE Delft Institute for Water Education vorschlagen. Weitere Informationen finden Sie bei rotary.org/de/our-programs/scholarships.