Meine Familie in Frankreich
Athena Trentin, ehemalige Teilnehmerin am Rotary-Jugendaustausch, gibt Tipps für junge Reisende
Athena Trentin hatte eine langweilige Kindheit - zumindest ihrer Meinung nach. Sie wuchs in Escanaba, Michigan, auf, einer Hafenstadt auf der oberen Halbinsel mit damals 14.000 Einwohnern. „Von den meisten Menschen wurde erwartet, dass sie aufwachsen, die Highschool abschließen und dann in der Papierfabrik arbeiten oder im Handwerk tätig sind“, sagt Trentin. „Meine Eltern ließen mir deshalb wirklich keine andere Option, als aufs College zu gehen und die Welt zu sehen, um die zu werden, die ich sein wollte.“
Als Trentin in der Mittelstufe war, setzte sich ihre Mutter dafür ein, die indigene Identität ihrer Familie wiederzuerlangen, und half bei der Gründung eines Gemeindezentrums für amerikanische Ureinwohner in Escanaba, das 20 Meilen vom nächsten Reservat entfernt lag. Aber es gab Widerstand von Mitgliedern des Stadtrats, und Trentin sagt, dass sie in der Schule Repressalien ausgesetzt war. Diese erste Begegnung mit Rassismus löste in ihr eine Erkenntnis aus. „Es gibt eine Welt da draußen, und ich wollte sie sehen“, sagt sie. „Ich gehörte irgendwo hin, wo ich Menschen aller Couleur treffen konnte."
Dann erfuhr sie vom Rotary-Jugendaustausch und wollte daran teilnehmen, war aber zu jung, um die Altersvoraussetzungen zu erfüllen. Trentin fühlte sich festgefahren, und dieses Gefühl verstärkte sich im folgenden Jahr, als ihre Familie sich die Reise aufgrund der Scheidung ihrer Eltern nicht leisten konnte. Ein Beauftragter des Rotary Youth Exchange in ihrer Stadt meldete sich schließlich bei ihrer Familie und sagte: „Sie ist die Person, die wir schicken wollen.“ Trentin ließ sich das nicht zweimal sagen.
Sie nahm einen Job in einem Fastfood-Restaurant an, um die nicht durch das Programm gedeckten Reisekosten zu bezahlen. Sie erhielt auch ein Stipendium von United Way, um ihr eigenes internationales Treffen zu veranstalten. Dazu lud sie Austauschstudent/innen verschiedener Organisationen aus Michigan nach Escanaba ein, um über deren Wahrnehmung der Vereinigten Staaten und ihre Ansichten zu diskutieren.
Sie erinnert sich, dass sie dachte: „Wenn wir diese Informationen austauschen können, was könnten wir dann nicht alles tun, um die Welt zu verändern?“ United Way schickte sie zu einer nationalen Führungskonferenz an der Indiana University. „Das war wahrscheinlich das erste Mal, dass ich außerhalb von Wisconsin und Michigan war - das erste Mal, dass ich People of Color traf, die keine Indianer waren.“ Sie brauchte mehr Erfahrungen wie diese. Und im Sommer nach ihrem ersten Studienjahr schickte der Rotary-Jugendaustausch sie nach Frankreich.
Athena Trentin
- Rotary Youth Exchange, 1990/91
- Master-Abschluss in Englisch (für Fremdsprachige), Michigan State University, 1997-2000
- Doktorat in Pädagogik, Universität von Südkalifornien, 2003-08
- Geschäftsführende Direktorin, National Alliance on Mental Illness North Texas, 2019-24
„Es war mir gar nicht klar gewesen, dass ich ein Jahr lang weggehen würde - und dass das eine lange Zeit ist. Ich erinnere mich, dass meine Eltern mich oft früh von Freizeitcamps abholen mussten, weil ich so ein Heimweh hatte“, sagt sie. Sie war aufgeregt, aber auch nervös, z. B. wegen des ungewohnten Essens, ihres Sprachverständnisses und ob ihre Gastfamilie nett sein würde. „Was soll ich dann tun? Wie werde ich ein Jahr lang durchhalten? Was ist, wenn es mir nicht gefällt? Was, wenn ich nach Hause will?“, all das ging ihr durch den Kopf.
Als ihr Flugzeug landete, holte ihr Gastvater sie am Gate ab. Vor der Gepäckausgabe wartete eine große Gruppe von Menschen, um sie zu begrüßen. „Das ist deine Familie“, sagte er zu ihr. Trentin hatte sich in ihrer Kindheit oft allein gefühlt, als gehöre sie nirgendwo richtig dazu. „Das ist also meine Familie“, dachte sie, als ihre Gastfamilie sie in die Arme schloss.
Trentins erste Gastfamilie lebte an der französisch-schweizerischen Grenze in der Nähe von Genf in einem schönen Haus auf dem Land. Das Leben war ganz anders als zu Hause. „Mein Vater arbeitete in der Papierfabrik, aber er war immer wieder arbeitslos. Wir hatten nicht viel Geld. Wir hatten keine wirtschaftliche Stabilität“, sagt sie. „Das erlebte ich nun zum ersten Mal. Und das machte für mich den großen Unterschied, denn es zeigte mir, wie das Leben sein kann.“ Sie schätzt noch immer die gemeinsamen Abendessen und Feiertage mit ihrer Familie.
Die Schule war eine weitere augenöffnende Erfahrung, insbesondere das Erlernen der Weltgeschichte aus europäischer Sicht. Sie begann zu verstehen, dass die amerikanische Bildung eine Seite der Geschichte bevorzugte, die oft ihre indigenen Wurzeln vernachlässigte.
Athena Trentin lernte auch eine wichtige Lektion über das Reisen, die sie bis heute mit sich trägt. Als ihre dritte Gastfamilie sie nach Paris mitnahm, freute sie sich darauf, endlich den Eiffelturm, den Louvre und andere Sehenswürdigkeiten zu sehen, von denen sie in ihrem Französischkurs in den USA so viel gehört hatte. Aber der Besuch dieser Orte war nicht so befriedigend, wie sie es sich vorgestellt hatte. Als sie nach Amerika zurückkehrte, setzte sie sich also zum Ziel, alle zwei Jahre in ein neues Land zu reisen, und zwar unter zwei Bedingungen: kostengünstig zu reisen und in das Land einzutauchen. „Man lernt nichts über die Kultur, wenn man nur den Aufzug im Eiffelturm hochfährt“, sagt sie.
Trentin war viele Jahre lang an verschiedenen amerikanischen Universitäten im Bereich internationale Studentenangelegenheiten tätig. Hier ist ihr Rat für Rotary-Jugendaustauschstudenten: Lass es zu, dass Reisen innere Veränderung bringen — zum Besseren. „Diese Erfahrung wird Ihre Sicht auf die Welt verändern. Sie werden in einer Weise wachsen, die Sie sich nie hätten vorstellen können“, sagt sie. Sie rät jungen Reisenden dringend, die „Platinregel“ zu befolgen: Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest. Das heißt, man sollte anderen Kulturen Respekt entgegenbringen und ihre ungeschriebenen Regeln lernen.
„Man sollte sich fragen: Welche Eingeständnisse bin ich bereit zu machen, wenn ich versuche, mich in diese neue Kultur einzufügen“, sagt sie. „Das kann etwas so Einfaches sein wie das Probieren neuer Gerichte und Lebensmittel. Es kann aber auch etwas so Komplexes sein wie einer der Grundwerte, von dem man dachte, dass man niemals Kompromisse eingehen würde.“ Diese Offenheit verhalf Trentin zu neuem Selbstvertrauen, als sie nach Hause zurückkehrte.
Vor ihrer Reise war sie immer sehr zurückhaltend gewesen, doch nach ihrer Rückkehr beschloss sie, ihre Schutzmechanismen abzulegen. „Das ist etwas, was Rotary mir gegeben hat: das Vertrauen, einfach ich selbst zu sein“, sagt sie. „Seitdem fühle ich mich wohler und bin aufmerksamer, wenn ich die Minderheit im Raum bin. Ich kann von allen anderen lernen, und das hat mir letztendlich in meiner Karriere geholfen.“
Trentin kehrte auch mit einer größeren Familie in die USA zurück. „Die erste Gastfamilie, die ich hatte, ist immer noch meine Familie. Sie wird immer meine Familie sein“, sagt sie. „Wenn ich sage: 'meine französische Familie', fragen die Leute: Was? Du bist Französin?“ Auch die meisten Austauschschülerinnen und -schüler die Trentin kennt, stehen ihren Gastfamilien immer noch sehr nahe. „Es war das schönste Jahr meines Lebens“, sagt sie. Zu der Zeit, als sie diese Gedanken teilte, suchte Athena Trentin gerade nach Flugtickets nach Mauritius, wohin ihr Gastbruder Raphael gerade gezogen ist.
Aus: Rotary Dezember 2024