Skip to main content

Stigma und Aberglaube

Skip to main content

In Tansania werden Albinos wegen ihrer Körperteile gejagt und ziehen sich aus Angst in die Isolation zurück. Mit Schwester Martha und Rotary finden sie den Weg in eine sichere Zukunft.

Von Produktion

Es ist Nachmittag in Nyamizeze, Tansania, und Martha Mganga ist voll in ihrem Element. 

Die meisten kennen die 54-jährige, die in ihrem Land gemeinsam mit Rotary wie kaum ein anderer für die Rechte von Menschen mit Albinismus eintritt, als Schwester Martha. Albinismus ist eine oft missverstandene, angeborene Störung, die durch unnatürlich helle Haut-, Augen- und Haarfarbe, eingeschränkte Sehschärfe und extreme Sonnenempfindlichkeit gekennzeichnet ist.  

Martha Mganga ist selbst Albino. Seit drei Jahrzehnten hilft sie anderen Betroffenen, eine Bildung zu erhalten, und zeigt ihnen, wie sie sich vor der schädlichen UV-Strahlung schützen können.  Gleichzeitig kämpft sie gegen vorherrschende Mythen und Stigmas. Dazu gehört auch der von Hexendoktoren verbreitete Irrglaube, dass Körperteile von Albinos Glück und Reichtum bringen.  

View Slideshow

Saada Kaema betreibt einen Stoffladen und verkauft nebenbei Körbe, Matten und Kochtöpfe am Straßenrand. „Meine Mutter kann alles“, sagt Tochter Mary, die an ihrer Seite arbeitet.

In den letzten 10 Jahren führte dieser Aberglaube zu einer Welle grausiger Morde an Albinos, zu Verstümmelungen und sogar zur Plünderung von Gräbern. Mindestens 76 Albinos wurden in Tansania ermordet. 72 weitere überlebten die Angriffe, oft mit schweren Verstümmelungen. 

An diesem Tag führt Martha Mganga mit anderen Helfern einen von Rotary geförderten Community-Workshop durch. Unter der Zeltplane hat sich eine kleine Gruppe von Ältesten aus dem 10.000 Einwohner zählenden Dorf versammelt.  

Einige ihrer Kollegen haben bereits vor den zumeist männlichen Gemeinde- und Religionsoberhäuptern gesprochen, die in ausgefransten Hemden zum Workshop gekommen sind. Mit dabei sind auch die beiden Albinos von Nyamizeze: die 24-jährige Happiness Sebastian mit ihrer kleinen Tochter Keflin. 

Rotarierin Faye Cran nimmt bei einem Community-Event in der Region Mwanza Keflin Clement, Tochter von Happiness (links), auf den Schoß.

Das Gespräch soll die Einheimischen über die Ursachen des Albinismus aufklären, mit vielen Stigmas aufräumen und das Wohlergehen der Albino-Gemeinschaft fördern. Zur Sprache kamen bereits die genetischen Ursachen der Störung, die jüngsten Übergriffe und viele entmenschlichende Mythen.

Ein Dorfbewohner sagt, als Kind habe er gelernt, dass Albinos von bösen Geistern verflucht seien. Ein anderer meint, das passiert, wenn eine afrikanische Frau mit einem weißen Mann schläft. „Albinos sterben nicht“, behauptet ein dritter. „Sie verschwinden einfach.“

Martha Mganga ergreift am Ende des Workshops das Wort. Sie hebt sich ihre Rede für die ihrer Meinung nach wichtigste Botschaft des Tages auf. 

Wie schrecklich die Morde aus sein mögen, sagt sie der Gruppe, eine noch größere Gefahr geht für die Albinos von der Sonne aus. Aufgrund der geringeren Produktion von Melanin, dem Pigment, das der Haut, den Haaren und den Augen ihren Farbton verleiht, fehlt den Albinos der Schutz vor den UV-Strahlen der Sonne. In äquatornahen Ländern wie Tansania kommt dies oft einem Todesurteil gleich.

Viele wissen nicht, wie man sich richtig schützt. Das hat dazu geführt, dass die Hautkrebsrate alarmierend hoch ist. Nach Angaben der kanadischen Hilfsgruppe Under the Same Sun, die sich für das Wohl von Albinos in der Welt einsetzt, haben in Tansania nahezu alle Albinos bis 20 Jahre gefährliche präkanzeröse Läsionen. Viele sterben vor Erreichen des 40. Lebensjahres. Dank besserer Krebsaufklärung und medizinischer Versorgung ist die Lebenserwartung zwar gestiegen, in abgelegenen Gebieten wissen Albinos aber oft noch zu wenig über die Gefahren der Sonne.

Deshalb erklärt Martha Mganga den Anwesenden, warum es für die Betroffenen so wichtig ist, sich im Schatten aufzuhalten, vor allem wenn die Sonne am grellsten strahlt, und die Haut möglichst vollständig mit Kleidung zu bedecken. Happiness Sebastian, die mit freien Armen und Beinen dasitzt, hört dies zum ersten Mal. Als Beispiel weist Frau Mganga auf ihr eigenes Outfit hin: eine langärmlige Hemdbluse, die Nacken und Schultern bedeckt, ein knöchellanger Rock und ein mit dem Rotary-Emblem verzierter Fischerhut, der Kopf und Gesicht schützt.

„Der größte Feind ist die Sonne“, schließt sie ihren Vortrag ab, auf den ein Auftritt der örtlichen Tanzgruppe und ein Aufklärungsvideo vor dem gesamten Dorf folgen. „Es gibt überhaupt keinen Grund, warum so viele von uns sterben müssen“.

Aberglaube und Wissenschaft

Obwohl es so viele Mythen gibt, ist die wissenschaftliche Erklärung für den Albinismus recht einfach. Die Betroffenen kommen mit einer genetischen Mutation auf die Welt, welche die Produktion von Melanin stört.

  • 33000.00+

    Menschen mit Albinismus in Tansania

  • 76.00

    Tansanier mit Albinismus wurden seit 2000 ermordet

  • 72.00

    Tansanier mit Albinismus haben seit 2000 Angriffe überlebt

Der okulokutane Albinismus, bei dem im Gegensatz zum nur die Augen betreffenden okulären Albinismus Haut, Augen und Haare betroffen sind, wird autosomal rezidiv vererbt. Dies bedeutet, dass beide Kopien des Gens krankhaft verändert sein müssen, und beide Eltern Träger des mutierten Gens sind. Wenn eine Mutter und ein Vater, die keine Albinos sind, eine mutierte Kopie des Gens in sich tragen, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind als Albino geboren wird, 25 Prozent.

Weltweit liegt die Häufigkeit des okulokutanen Albinismus bei 1:20.000. In vielen Teilen Afrikas ist die Prävalenz jedoch höher.

Der im US-Bundesstaat Wisconsin tätige Genetiker Murray Brilliant ist einer der führenden Albinismus-Experten der Welt. Er schätzt, dass in Tansania einer von 1.400 Menschen die Störung hat und jeder 19. Einwohner Träger des mutierten Gens ist. Seine Forschung hat gezeigt, dass sich die Mutation der meisten Albinos in diesem Land auf einen gemeinsamen Vorfahren vor 2.500 Jahren zurückverfolgen lässt.  

Trotz der relativ hohen Zahl werden die Albinos in Tansania seit langem stark stigmatisiert.

Generationen von Eltern haben ihre Albino-Kinder nach der Geburt getötet. Für sie war dieser brutale Akt besser als ein Leben lang mit der Schande und dem Unglück leben zu müssen, die ein Albino-Kind ihrer Überzeugung nach ihrer Familie bringen würde. 

Mit der allmählichen Ausbreitung des Christentums im Landesinneren verschwanden diese Praktiken nach und nach. Die Mythen und Diskriminierung blieben jedoch.

Martha Mganga kam als erstes Albino-Kind in einer Familie zur Welt, in der die Eltern selber keine Albinos sind. Sie erinnert sich an eine Kindheit in Isolation.

Was ist die Ursache von Albinismus?

Die für den Albinismus verantwortliche Mutation wird von den Eltern vererbt. Es gibt zwei Arten der Störung:

  • Okulokutaner Albinismus: Verringerte Pigmentierung in den Augen, Haaren und der Haut.
  • Okulärer Albinismus: Verringerte Pigmentierung in den Augen.

 

Nachbarn bezeichneten ihre Familie als „verwünscht“, von den anderen Schülern wurde sie gemieden. Obwohl ein Lehrer in ihrer Schule von ihrer durch die geringe Pigmentierung der Netzhaut und Iris verursachte Sehschwäche wusste, musste sie in der Klasse ganz hinten sitzen und schaffte deshalb den Grundschulabschluss nicht.  

Mit 17 Jahren floh sie vor einer arrangierten Ehe mit einem Polygamisten und versuchte, sich im Fluss zu ertränken. Die Strömung trug sie jedoch zurück an das Ufer und in ein neues Leben: Nach dem Abschluss an einer Bibelschule arbeitete sie zunächst als anglikanische Missionarin und gründete später ihre eigene Nichtregierungsorganisation Albino Peacemakers („Albino-Friedensstifter“). In ihrer Heimatstadt Arusha klärt die Partnerin von Rotary die Bürger und Familien über Albinismus auf, hilft Albino-Kindern beim Lernen und organisiert wichtige Hautkrebs-Vorsorgeuntersuchungen.

Eine Welle der Gewalt

Während Martha Mganga ihren Weg fand, nahm das Schicksal der tansanischen Albinos eine tragische Wende. 

2007 mehrten sich Berichte, dass Albinos, in der Mehrzahl Kinder, wegen ihrer Körperteile gejagt wurden. Besonders häufig geschah dies im Nordwesten des Landes unweit der zwei größten Seen Afrikas: dem Viktoria- und Tanganjikasee. 

Das Märchen von den glücksbringenden Kräften des Albino-Fleischs war zwar nicht neu. Durch den erstarkenden Gold- und Diamantbergbau floss jetzt aber mehr Geld in die Region und erhöhte die Risikobereitschaft, erklärt Fred Otieno, Beauftragter für kommunales Engagement der Africa Inland Church von Tansania und einer der Moderatoren des Workshops in Nyamizeze. 

Fremde Investoren mit dicken Brieftaschen waren bereit, für einen großen Fund alles zu versuchen. Lokale Hexendoktoren witterten ein großes Geschäft und beauftragten Banden damit, „Albino-Glücksbringer“ für sie aufzutreiben. „Geschäft und Politik sind stark vom Aberglauben geprägt“, erklärt Fred Otieno. „Wenn jemand behauptet, dass dieser Albino-Körperteil zum Goldfund führt, sind viele gewillt, dies zu tun.“

Die 37-jährige Töpferin Neema Kajanja unterstützt ihren Sohn Baraka. Er sorgt sich nach wie vor um ihre Sicherheit, auch „wenn es jetzt besser geworden ist.“

Mutige investigative Berichte, zunächst von lokalen Journalisten, enthüllten bald eine Krise schlimmsten Ausmaßes, die zeigte, dass sich die entsetzlichen Gerüchte bewahrheiteten.  

Die tansanische Reporterin der BBC Vicky Ntetema filmte bei verdeckten Ermittlungen zur Aufdeckung des organisierten Handels mit Körperteilen eine Hexendoktorin, die ihr Albino-Körperteile zum Kauf anbot.  

Laut einem Bericht aus dem Jahr 2009 der International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies wurde ein kompletter Satz an Körperteilen – mit vier Gliedmaßen, Genitalien, Ohren, Augen und Nase – in Daressalam für 75.000 Dollar gehandelt, eine gewaltige Summe in einem Land, in dem das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf unter 1.000 Dollar pro Jahr liegt. 

Dem Bericht zufolge wurden bis zu 300 Albino-Kinder, die in Schulen für Behinderte „abgegeben oder zurückgelassen” wurden, von den Behörden aufgefordert, woanders Schutz zu suchen. Eine unbestimmte Zahl an Kindern lebte in der Nähe von Polizeistationen oder Kirchen in ständiger Angst um ihr Leben.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Mordfälle gesunken, was zum Teil auf die verstärkte Wachsamkeit der Behörden zurückzuführen ist.  

Seit 2008 wurden mindestens 15 Angeklagte vom Obersten Gericht Tansanias wegen ihrer Rolle bei Albino-Morden zum Tode verurteilt. Bei Polizeieinsätzen wurden über 200 nichtlizenzierte traditionelle Heiler verhaftet, von denen viele verdächtigt wurden, mit den gewalttätigen Verbrechen in Verbindung zu stehen. Behörden auf allen Ebenen – von der Region bis hin zu den Dörfern – richteten auf Anweisung des Premierministers Sicherheits- und Verteidigungsausschüsse ein, die nach potenziellen Angreifern und Händlern von Körperteilen Ausschau halten. 

Projectus Rubanzibwa ist Verwaltungsbeamter im Regionalbüro des Kommissars von Mwanza. Er sagt, dass die Behörden das Problem „ernster nehmen“ und auch die Bürger selbst eine wichtige Rolle bei der Erkennung von illegalen Händlern spielen. 

Under the Same Sun führt eine Datenbank mit gemeldeten Albino-Morden, Albino-Angriffen und Grabschändungen in Afrika. Der letzte Mord in Tansania wurde im Februar 2015 in der Region Geita unweit Nyamizeze an einem einjährigen Jungen verübt, der überfallen und zerstückelt wurde. (Allerdings ist die Liste möglicherweise unvollständig, da Angriffe oft nicht gemeldet werden.)  

In anderen Ländern hat sich die Situation jedoch verschlimmert. 

Im benachbarten Malawi wurden seit 2014 mindestens 18 Albinos ermordet. Die malawische Regierung macht den Einfluss tansanischer Körperteilhändler für diese Epidemie verantwortlich. In Tansania sorgen sich Interessenvertreter wie Fred Otieno um die hunderte von Albino-Kindern in Schutzlagern oder Schulen für Behinderte, wo sie vorübergehend in Sicherheit sind, die sie aber irgendwann wieder verlassen müssen. 

Für ihn sind diese Einrichtungen nicht nur eine „tickende Zeitbombe“, sondern verstärken auch die jahrelange Diskriminierung der Albinos. „Das Stigma, dass diese Menschen nicht normal sind wie wir, bekommt dadurch neue Nahrung“, sagt er. 

Die Rolle von Rotary

Hunderte Kilometer von Nyamizeze entfernt, hinter den Weiten der Serengeti-Ebene und im Schatten des Vulkans Meru, sitzt Faye Cran auf ihrer Veranda und erinnert sich daran, wie sie gemeinsam mit Rotary anfing, der Albino-Gemeinschaft zu helfen.

Die jetzt 76-jährige Rotarierin wurde während des zweiten Weltkrieges in England geboren. Als Kind zog sie mit ihrer Familie nach Ostafrika, wo sie seither lebt. Aus ihrem einstmals kleinen Geschäft des Verkaufs von Hühnern entwickelte sie in Jahrzehnten ein tansanisches Hühnerimperium. Weithin als „Maka Kuku“ bekannt, was in der Landessprache Suaheli „Hühnermutter“ bedeutet, ist Frau Cran gleichzeitig eine der engagiertesten Rotarier Tansanias. In ihrem Rotary Club Moshi diente sie bereits als Landesvorsitzende und Foundation-Distriktbeauftragte. Bei neun Global-Grant-Projekten und mehr als zwei Dutzend Matching-Grant- und Partnerclub-Projekten agierte sie als Hauptansprechpartnerin. 

Sie war auch die treibende Kraft hinter der Einrichtung eines Rehabilitations- und Selbsthilfezentrums für Leprakranke im Jahr 1996, das Kinder und Erwachse unterbringt und betreut, die wegen der ebenfalls stark stigmatisierten Lepra-Krankheit aus ihren Gemeinden verstoßen wurden.

Rotary Grants finanzieren Community-Events zur Aufklärung über den Albinismus in Tansania.  

Ihr Engagement für die tansanischen Albinos begann, als sie die Folgen der Gewalt mit eigenen Augen erlebte. Auf einer Reise 2011 mit Alan Suttie vom schottischen Rotary Club Kirkcaldy lernte Faye Cran einen jungen Albino kennen, dem bei einem brutalen Angriff der linke Arm und die rechte Hand abgehackt wurden. Zurück blieb ein verstümmeltes und stark traumatisiertes Kind. 

Der 2014 verstorbene Rotarier Suttie war in Schottland Geschäftsführer einer Gesellschaft für Blinde und unterstützte bereits damals sehbehinderte tansanische Schüler, unter ihnen viele Albinos. Er reiste mit dem festen Entschluss nach Hause zurück, mehr für diese Kinder zu tun. 

Gemeinsam mit Faye Cran und anderen tansanischen Rotariern gab sein Club ein Bilderbuch in Auftrag, das die Geschichte eines jungen Mädchens erzählt, dessen Albino-Schwester ermordet wird. Das Buch wurde im ganzen Land an Grundschulen verteilt. 

Es folgten eine Reihe anderer rotarischer Aktivitäten, unter anderem zwei Global-Grant-Projekte: Das 2013 und 2014 laufende Projekt „Sehhilfen und Albinismusaufklärung für Kinder in Tansania“, bei dem die Rotarier Cran und Suttie als Hauptansprechpartner fungierten, und das gegenwärtig laufende Projekt mit dem Titel „Veränderung des Lebens für Menschen mit Albinismus in Tansania“ unter Leitung von Faye Cran und John Philip aus Mirfield, England.

Es folgten Projekte, die nahezu jeden Aspekt der Erkrankung berührten.

Partnerclubs aus mehreren Distrikten besorgten Matratzen, Moskitonetze, Sehhilfen, Hüte und Sonnencreme für Albino-Schüler und finanzierten Projekte, die eine Existenzgrundlage in entlegenen Gebieten schafften. 

Im Rahmen des Sehhilfeprojekts reisten Augenoptiker aus Schottland nach Arusha und bildeten dort lokale Optometrie-Studenten aus. 

In ihrer Lehrerbildungsanstalt Patande wurden seitdem für über 300 sehgeschädigte Albino-Jugendliche Augenuntersuchungen durchgeführt und Lupen und in manchen Fällen eine Überweisung für Teleobjektive ausgestellt. 

Der Schwerpunkt des jetzigen Grant-Projekts, das seit Ende 2015 läuft, liegt auf der Aufklärung der Bürger. Es hat über 70 Gemeindetreffen wie das in Nyamizeze finanziert und unterstützt das Bündnis zwischen Albinos und traditionellen Heilern, die gegen die Mythen ankämpfen, die zu so vielen Morden geführt haben. 

Ein weiterer Schwerpunkt der Rotarier sind das Training von Gesundheitspersonal und die Bereitstellung von Medizingeräten zur Krebsprävention und -therapie. 

So stattete Rotary fünf tansanische Krankenhäuser mit Instrumenten und flüssigem Stickstoff für die Kryotherapie aus, mit der sich präkanzeröse Läsionen äußerst wirksam entfernen lassen, bevor daraus der tödliche Hautkrebs entsteht. 

Jeder Patient, dessen Biopsie Anzeichen von Krebs aufweist, werden in das Ocean Road Cancer Institute in Daressalam überwiesen. Der nationale Interessenverband The Tanzanian Albinism Society (Tansanische Albino-Gesellschaft) und die britische NGO Standing Voice, die sich für ausgegrenzte Bürger einsetzt, tragen zur Bezahlung der Behandlungskosten ein.

Die auf der Insel Ukerewe lebende Neema Kajanja stellt seit 18 Jahren Töpfe her. Mit den von Rotary gespendeten Werkzeugen konnte sie ihre Produktion steigern.

Arbeiten trotz Sonne

Der Wettlauf gegen den Krebs lässt sich nicht allein mit dem Zugang zur medizinischen Versorgung gewinnen. 

Genauso wichtig ist der Schutz vor der Sonne durch Kleidung, wie Martha Mganga immer wieder betont. Und die Suche nach einem Job in Gebäuden oder im Schatten. Keine leichte Aufgabe in einem tropischen und überwiegend ländlichen Land wie Tansania, wo die meisten Einwohner jeden Tag stundenlang in der Sonne pflanzen, jäten und hacken. 

Bei der Veranstaltung in Nyamizeze fragt ein Teilnehmer, wie man überleben soll, wenn man nicht jeden Tag in der größten Hitze auf den Feldern arbeitet. Vielen Albinos, die aufgrund ihrer Sehschwäche keinen Schulabschluss haben, fällt es besonders schwer, einen Job zu finden, der nicht im Freien ausgeübt wird.

Auf der Insel Ukerewe im Südosten des Viktoriasees leben 300.000 Menschen. Hier ist dieses Problem besonders spürbar. Die Insel ist nur mit der Fähre erreichbar, Fremde, die kommen und gehen, fallen schnell auf. Aufgrund dieser Tatsache gewann die Insel während der schlimmsten Zeit der Albino-Morde den Ruf eines sicheren Zufluchtsorts für Albinos, und einige zogen sogar vom Festland auf die Insel um.

Viele wollen nach wie vor nichts mit Albinos zu tun haben. Also überlegten wir uns, bei welchen Projekten zwei Albinos und drei andere (Nicht-Albinos) mitmachen könnten.


Rotary Club Moshi

Andere Herausforderungen blieben jedoch. So ist es für Albinos schwierig, sichere Verdienstmöglichkeiten zu finden. „80 Prozent der hier lebenden Menschen sind Bauern oder Fischer“, erklärt der lokale Kfz-Mechaniker Ramadhan Alfani, der gleichzeitig Distriktvorsitzender der Tanzania Albinism Society ist. „Diese Jobs sind für uns schwierig. Wenn ich mich zu lange in der Sonne aufhalte, verändert sich meine Haut.“

Sein Gewerbe übt Herr Alfani im Schatten eines gewaltigen Kanonenkugelbaums aus. Er glaubt, dass diese Art von Unternehmen den Albinos zu einem längeren Leben und finanzieller Unabhängigkeit verhelfen können. Während er spricht, baut er in seinem roten, ölverschmierten Arbeitskittel Zündkerzen in den Motor eines alternden grauen Toyota Minivans ein.

Mit den von Rotary geschenkten Werkzeugen, darunter auch ein Lackier-Kompressor, konnte er im Laufe der Jahre sein Geschäft und seine Kundschaft ausbauen. Er beschäftigt jetzt drei Angestellte und verdient genug, um seine Frau und ihren kleinen Sohn zu ernähren.

Herr Alfani ist nur einer von Dutzenden Albino-Gewerbetreibenden in Nordtansania, denen Rotary mit Fördermitteln, Krediten und Spenden geholfen hat. 

In der Region Arusha finanzierte Rotary im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts mit der NGO von Martha Mganga, Albino Peacemakers, den Kauf von Nähmaschinen für ein Kollektiv von Albino-Schneiderinnen. In der Stadt Musoma stellten Rotarier das Kapital für Mikrokredite für fünf kleine Verbände zur Verfügung, denen mindestens ein örtlicher Albino angehört. Mittlerweilen haben sie Läden für Haushaltsartikel und Textilwaren und einen Kosmetiksalon eröffnet. Mit den Fördermitteln aus einem Global Grant wurden den Teilnehmern Informationen zum Unternehmertum und Bankwesen sowie grundlegende Finanzkenntnisse vermittelt.

Das Projekt will nicht nur das Einkommen erhöhen, sondern auch Stigmas abbauen, indem Menschen überzeugt werden, Albinos als Geschäftspartner zu akzeptieren. „Viele wollen nach wie vor nichts mit Albinos zu tun haben", sagt Faye Cran. „Also überlegten wir uns, bei welchen Projekten zwei Albinos und drei andere (Nicht-Albinos) mitmachen könnten.“

Der Einzug des Fortschritts

Wie bei jeder anderen Initiative, bei der Mentalitäten geändert werden müssen, liefen auch diese Aktivitäten zur Verbesserung der Lebensgrundlage nicht ganz ohne Probleme ab.

Anders als beim Kfz-Mechaniker Alfani ging das Einkommen der Ukerewe-Töpferin Neema Kajanja, die ebenfalls Werkzeuge von Rotary erhielt, in letzter Zeit zurück. Grund seien ein allgemeiner Wirtschaftsabschwung und das Schließen des nächstgelegenen Marktes, weshalb sie jetzt größere Entfernungen in der Sonne zurücklegen muss, um ihre Waren verkaufen zu können. Der von Rotary finanzierte Brennofen steht auf ihrem Grundstück aus unbekannten Gründen ungenutzt herum. Nach wie vor brennt sie ihre neu geformten Tontöpfe in einem primitiven Buschfeuer.

Ein Jahr nach Beginn des Mikrokreditprogramms haben in Musoma drei der fünf kleinen Gewerbe Fortschritte gemacht und zahlen das Darlehen termingerecht zurück. Eine Gruppe stieg aus, nachdem ein Mitglied sich mit dem Geld aus dem Staub machte. Eine weitere Gruppe gab auf, als ihr Leiter, der Regionalvorsitzende der Tanzania Albinism Society, an Hautkrebs starb. 

Rotarier Deogratis Ibunga Wegina (rechts) leitet die Mikrofinanzprojekte in Musoma, die Menschen mit Albinismus helfen, wie der Besitzerin eines Friseursalons Helen Paul.

Entscheidend ist jedoch, dass die Unternehmer in Musoma und Ukerewe mit ihrem Geschäft dazu beigetragen haben, die Stigmatisierung zu bekämpfen, die nach Auffassung von Interessengruppen im ganzen Land abnimmt. 

Laut Faye Cran werden immer weniger Albinos gefürchtet oder abgelehnt. Dieser Denkwandel in der Bevölkerung wurde auch dadurch verstärkt, dass seit 2008 drei Albinos in das tansanische Parlament gewählt bzw. berufen wurden. 

Herr Alfani und Helen Paul, Mitbesitzerin des Friseursalons in Musoma, glauben nicht, dass ihre Stellung als Albinos sie Kunden kostet. 

Die Mikrokreditnehmerin Saada Kaema aus Musoma verkauft Weidenkörbe. Früher wurde sie von weniger gut informierten Menschen aus ländlichen Gebieten gemieden, aber nach und nach kauften immer mehr bei ihr ein. Wie die meisten Albinos hier ist sie weiterhin auf der Hut vor Angreifern und geht nachts nicht auf die Straße. Alles in allem fühlt sie sich jedoch viel sicherer als in der Vergangenheit.

Auch in Nyamizeze ist dieser Fortschritt zu spüren. Hunderte warten auf einer Freifläche auf das Video “People Like Us,” (Menschen wie wir) das auf einer Leinwand gezeigt werden soll. Zwei Dorfälteste unterhalten sich darüber, was sie auf dem gerade zu Ende gegangenen Workshop gelernt haben. 

Peter Misungui ist Chef der Dorfsicherheit. Er beharrt darauf, dass die Bewohner seines Dorfes nie an die Märchen geglaubt haben, die zu den Morden führten. Seine fünf Mann starke Nachtpatrouille habe die Albinos hier immer beschützt, fügt er hinzu. Man nennt die Truppe Sungu Sungu, was soviel wie Ameisenarmee bedeutet. 

„Allein ist jede Ameise sehr klein“, sagt er. „Aber zusammen beißen sie dich.“

Was allerdings andere Aspekte der Sicherheit von Albinos betrifft, müssen Peter Misungui und sein Freund Daudi Matagane, ein Pastor der Siebenten-Tags-Adventisten, zugeben, dass vieles für sie neu war. 

Vor allem Peter Misungui war überrascht, als er hörte, dass die Erkrankung von beiden Eltern vererbt wird. Außerdem hatten er und Daudi Matagane nicht gewusst, welche große Gefahr von der Sonne für Albinos ausgeht. 

Diese Erkenntnis könnte sich für die beiden Albinos im Dorf, Happiness Sebastian und ihre Tochter, als kritisch erweisen. 

„Wir werden jetzt darauf achten, dass sie nicht zu lange arbeitet, ihre Haut mit Kleidung bedeckt und sich so viel wie möglich im Schatten aufhält", sagt Daudi Matagane über die junge Mutter. „Als Dorfälteste werden wir alles tun, um sie zu schützen.“

Helfen Sie uns, mehr Leben zu retten

  1. Martha Mganga, die liebevoll „Schwester Martha“ genannt wird, war ein Fluch für ihre Familie. Als junges Mädchen versuchte sie mehrmals, sich das Leben zu nehmen. Doch dann folgte sie ihrer Berufung, Frieden durch Verständnis zu stiften, und widmet seitdem ihr Leben der Hilfe für Menschen mit Albinismus. 

  2. Rehema Abdallah (links) mit Geschäftspartnerin Zulfa (rechts) sind Eigentümerinnen eines Krämerladens. Die Frauen erhielten Kredite über Rotary Grants, bei denen Albinos und Nicht-Albinos gemeinsam ein Gewerbe führen, um die Stigmatisierung von Albino-Unternehmern abzubauen. 

  3. David Lukumay lebt mit seiner Mutter und fünf Geschwistern unter den Massai außerhalb von Arusha, Tansania, und pflanzt in der Sonne Blumen. Auf die Frage, ob er heiraten möchte, antwortet er lächelnd: „Erst ein Haus, dann eine Frau.“ Nur einer von Davids Geschwistern ist ein Albino.

  4. Elizabeth Juma ist Teilinhaberin des Tesha Friseur- und Kosmetiksalons auf der Insel Ukerewe, die seit der Welle der Gewalt 2008 als sicherer Zufluchtsort für Albinos gilt.

  5. Keflin Clement ist zum Schutz vor der Sonne von Kopf bis Fuß in Kleidung gehüllt. Ihre Mutter Happiness hörte zum ersten Mal von den Gefahren durch Sonnenstrahlung auf einer Gemeindeveranstaltung, die mit einem Rotary Grant finanziert wurde. 

  6. Elias Chacha möchte Arzt werden. Seine Eltern besuchen ihn in der Grundschule Mitindo, wo er in Sicherheit lebt. Rotary besorgte 44 Betten und 88 Matratzen und spendete schützende Kopfbedeckungen, Sonnencreme und Lupen für sehschwache Schüler.

  7. Ramadahan Alfani ist Kfz-Mechaniker, Ehemann, Vater und Vorsitzender der Tanzanian Albino Society auf der Insel Ukerewe.